Straubinger, 9.Dez 2004

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zoff um den freien Sitz
Von unserem Berliner Mitarbeiter Rudi Wais

Edmund Stoiber triumphierte:
"Rot-Grün hat, Recht gebrochen, um sich Macht zu sichern. " Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das die Regierungs-Koalition einen entscheidenden Sitz im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat kosten kann, wird zwar kaum direkte politische Konsequenzen haben, in der Union allerdings, die das Verfahren angestrengt hatte, war der Jubel gleichwohl groß. Karlsruhe habe den Regierungsfraktionen ihre "Rechentricks" nicht durchgehen lassen, lobte der baden-württembergische Bundesratsminister Rudolf Köberle. "Hochmut kommt vor dem Fall", freute sich auch CSU-Landesgruppenchef Michael Glos. "Diese Ohrfeige ist ein weiterer Beleg für den rücksichtslosen Umgang der rot-grünen Mehrheit im parlamentarischen Miteinander. "

Das klingt nach Krawall. Aber worum geht es eigentlich konkret? Das Thema ist kompliziert - und politisch brisant: Nach der Bundestagswahl 2002 hatten Sozialdemokraten und Grüne mit dem Argument, die Parlamentsmehrheit müsse sich auch im Vermittlungsausschuss abbilden, der SPD-Fraktion einen zusätzlichen Sitz zugeschlagen - zu Lasten der Union. Rein rechnerisch hätten Union und SPD auf Basis ihrer Fraktionsstärke jeweils sieben Mitglieder stellen dürfen, Grüne und Liberale sind auf der so genannten Bundestagsbank mit je einem Abgeordneten vertreten. Weitere 16 Mitglieder kommen aus den Bundesländern neun von der Union, sieben von der SPD. Pikantes Detail am Rande: Im Dezember 2002 hatte das Gericht einen Eilantrag der Union gegen den Sonder-Sitz für die Sozialdemokraten noch abgelehnt.

Was ändert sich nun? Bisher herrscht im Vermittlungsausschuss ein Patt. Den neun Abgeordneten der Koalition und sieben Ministern bzw. Ministerpräsidenten aus sozialdemokratisch regierten Ländern sitzen 16 Mitglieder aus den Oppositionsfraktionen im Bundestag und den unionsregierten Ländern gegenüber. Das zwingt beide Seiten gewissermaßen zum Kompromiss. Wie der Ausschuss sich nach dem Urteil genau zusammensetzen wird, war bis gestern Abend noch unklar. Sicher ist nur: Die SPD muss einen Abgeordneten abziehen. Nach Informationen unserer Zeitung will die Union, die diesen Sitz für sich reklamiert, dafür den fränkischen CSU-Mann Hans-Peter Friedrich nachrücken lassen. SPD-Justitiar Hermann Bachmaier aber droht: Nutznießer des Urteils werde nicht die Opposition sein. Die Koalition vertritt die Ansicht, dass der freie Platz auch von den Grünen besetzt werden könnte, deren Fraktion größer ist als die der FDP. Schließlich habe das Gericht nicht die Zusammensetzung des Ausschusses insgesamt gerügt, sondern lediglich den Umstand, dass die SPD als stärkste Fraktion klar bevorzugt worden sei.

Was könnte die Opposition mit einer Mehrheit im Vermittlungsausschuss bewegen? Sollte die Union sich durchsetzen, würden CDU, CSU und FDP insgesamt 17 Mitglieder stellen und wären damit die Herren des Verfahrens. Gesetze erzwingen oder verhindern können sie jedoch nicht. Der Vermittlungsausschuss unterbreitet Bundestag und Bundesrat in strittigen Fragen lediglich einen Einigungsvorschlag. Insider rechnen allerdings damit, dass die Opposition mit ihrer Mehrheit Vermittlungsverfahren künftig in die Länge ziehen oder auch ganz platzen lassen würde. Beispiel: Würde der Ausschuss im aktuellen Streit um die Eigenheimzulage keinen Kompromiss finden, wäre deren Abschaffung endgültig gescheitert, vor Finanzminister Hans Eichel täte sich ein neues Haushaltsloch auf.

Gilt die Neuregelung rückwirkend? Nein! Obwohl die Karlsruher Richter den gegenwärtigen Zustand für verfassungswidrig halten, bleibt die bisherige Arbeit der Vermittler unangetastet. Gesetze wie die umstrittene Arbeitsmarktreform Hartz IV müssen also nicht noch einmal verabschiedet werden. Um den Ausschuss nach der Wahl arbeitsfähig zu machen, habe Rot-Grün im Herbst 2002 rasch handeln müssen, betont das Gericht. Für einen fraktionsübergreifenden Konsens habe damals die Zeit gefehlt. Nun aber müsse der Bundestag die Besetzung des Vermittlungsausschusses umgehend korrigieren.

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