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Sent: Tuesday, July 06, 2010 6:17 PM
Subject: zdf.de: Keine Gesundheitsreform, sondern eine Kapitulation

zdf.Mail
Dienstag 06.07.2010 [17.13 Uhr]MEZ
Ihnen wurde ein Artikel aus der heute.de-Redaktion von kiehl@rki-i.com geschickt.


Keine Gesundheitsreform, sondern eine Kapitulation
Höhere Beiträge, sonst nichts - Die Koalition wollte mehr
http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/29/0,3672,8086461,00.html


Déjà-vu: Seit Jahren ist es das gleiche. Den Krankenkassen fehlen
Milliarden; die Politik kündigt große Reformen an - und dann steigen die
Versicherungsbeiträge. Auch die Koalition wollte viel. Doch ihre Reform ist
keine - es ist eine Kapitulation.


Sie werden versuchen, sich feiern zu lassen: die geschundenen Seelen der
schwarz-gelben Koalition, die nach dem verpatzten Sparpaket und der
verpatzten Bundespräsidentenwahl nach Erfolgen dürsten. Seht her, werden
sie sagen: Wir können uns doch einigen und wir verteilen die Lasten
gerecht. Bislang zahlt der Arbeitnehmer 7,9 Prozent seines Gehalts in den
Gesundheitsfonds; der Arbeitgeber 7,0 Prozent. Künftig wird der Beitrag
insgesamt von 14,9 auf 15,6 Prozent steigen - diesmal wird die Erhöhung
schön paritätisch aufgeteilt.Seht her, wird die Koalition sagen, auch die
Arbeitgeber müssen mehr bezahlen: 7,3 Prozent beträgt ihr Anteil. Bei den
Arbeitnehmern bleiben 8,2 Prozent hängen. Seht her, wir haben das
Milliardendefizit bei den gesetzlichen Krankenkassen gestopft und mit den
Zusatzbeiträgen eine Art Kopfpauschale eingeführt, um den Wettbewerb
zwischen den Krankenkassen zu befeuern. Wer sich vom Jubel der Koalition
blenden lässt, ist selbst schuld.

Koalitionsvertrag gebrochen
Diese Koalition kapituliert - vor echten Reformen, vor den Lobbyisten, vor
sich selbst und schlimmer noch: vor der Zukunft. Denn was stand noch einmal
im Koalitionsvertrag? Die gesetzliche Krankenversicherung sollte
strukturell umgebaut werden, um den Teufelskreis - leere Kassen, Beiträge
rauf - zu durchbrechen und für die Zukunft vorzusorgen. Die
Versicherungsbeiträge sollten von den Lohnnebenkosten entkoppelt werden, um
den zweiten Teufelskreis - Defizit gleich höhere Beiträge gleich höhere
Arbeitslosigkeit - zu zerschlagen. Nichts von dem ist passiert.

Und das war zudem absehbar: Von Beginn an haben CSU-Chef Horst Seehofer und
sein Adlatus, der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder, dieses
Vorhaben torpediert. Warum Seehofer den Koalitionsvertrag überhaupt
unterschrieben hat, ist sein Geheimnis. Ihm ist es anzulasten, wenn die
Koalition nun blamiert dasteht. Denn sie hat kein Rezept für das kranke
Gesundheitssystem gefunden und wird es in dieser Legislaturperiode wohl
nicht mehr finden. Denn eine echte Strukturreform ist das jetzt Vorgelegte
nicht. Der Einstieg in lohnunabhängige Beiträge sind diese Zusatzbeiträge
auch nicht. Selbst wenn dies die FDP jetzt so verkaufen mag. Tatsächlich
ist es ein Verschiebebahnhof: Allein der Versicherte zahlt über die
Zusatzbeiträge für alle absehbaren, künftigen Defizite und für die
Mehrkosten durch den technischen Fortschritt - Höhe offen. Und das
verheimlicht Gesundheitsminister Rösler noch nicht einmal - sondern sagt es
genau so.

Finanz- statt Verteilungsproblem
Dort wo das Gesundheitssystem krankt, ändert Röslers Reförmchen nichts: Die
Krankenkassen geben immer mehr Geld aus, die Kontrolle darüber wird immer
geringer. Unsere Gesellschaft wird immer älter und wird daher immer länger
auf medizinische Hilfe angewiesen sein. Immer weniger, die in die
Sozialkassen einzahlen, müssen für immer mehr Kranke sorgen. Höhere
Beiträge sind nur ein kleines Pflaster, das heilt die Wunde nicht: Dieses
Gesundheitssystem hat kein Finanz-, es hat ein Verteilungsproblem. Im
Gesundheitswesen verpuffen Millionen in vielen, teuren Krankenhäusern, für
sinnlose Doppeluntersuchungen, für planlose Studien und neue, teure
Medikamente, die genau dasselbe bewirken wie die alten, billigeren.

Und es verpuffen Millionen im Verwaltungsapparat der vielen, vielen
Krankenkassen. Mit ihrer Methode, die Hand aufzuhalten, statt durch
Rationalisierung, schlankere Strukturen oder gar Personalabbau selbst etwas
zum Minimieren ihres Defizits beizutragen, kommen sie seit Jahren durch.
Und sie bekommen jetzt durch die frei wählbaren Zusatzbeiträge die Lizenz
zum Abkassieren. Macht ja nichts, der Versicherte blickt kaum durch und
zahlt es ja - und hat es hoffentlich bis zur nächsten Wahl wieder
vergessen. Denn auch dieses Muster schleicht sich offenbar ein: 2006 und
2010 - beide Male wurde die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge im ersten
Jahr einer Legislaturperiode mitten in eine fußballbeseelte und urlaubende
Gesellschaft platziert.

"Vergesst nicht unsere Träume"
Und Gesundheitsminister Rösler? Noch nie ist ein stürmischer Tiger derart
schnell als angeschossener Bettvorleger gelandet. Man würde zu gerne
wissen, was seine Vorgängerin, SPD-Ministerin Ulla Schmidt, jetzt denkt.
Müde lächeln wird sie vermutlich - wenn es nicht so traurig wäre, dass auch
der forsche FDP-Kollege sich an den Lobbyisten von Krankenkassen,
Krankenhäusern und Pharmabranche die Zähne ausbeißt. Vielleicht sitzen
beide aber auch zusammen und hören den von Rösler so geliebten Udo Jürgens:
"Ihr von morgen werdet staunend rückwärts sehen, ihr von morgen vergesst
nicht unsere Träume, ihr von morgen werdet neue Wege gehen." Na,
hoffentlich!





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