Straubinger, 11.Febr2006
Groß angelegte Studie über Folgen von Handy-Strahlung auf Kinder
Universität München untersucht rund 3 000 Jugendliche aus dem Freistaat

München. (Eig.Ber.) Kann das geliebte Handy für Kinder und Jugendliche zu einer gesundheitlichen Zeitbombe werden? Dieser Frage geht das Institut für Arbeits- und Umweltmedizin der Universität München in einer auf zwei Jahre angelegtenStudie nach. Durch Messungen und Befragungen bei 1 500 Kindern im Alter von acht bis zwölf Jahren und ebenso vielen Jugendlichen (13 bis 17 Jahre) wollen die Wissenschaftler im Auftrag des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) herausfinden, ob Mobiltelefone zu Befindlichkeitsstörungen wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Hyperaktivität, Nervosität, Schwindel und Unwohlsein führen können.

Es könnte durchaus sein, dass Kinder mehr unter den von den Handys ausgehenden elektromagnetischen Strahlen leiden als Erwachsene, sagt Anja Kühnlein, Mitarbeiterin des Münchner Studien-Teams. Zum einen müssen sie schon aufgrund der zu erwartenden Lebenszeit damit rechnen, wesentlich länger elektromagnetischen Feldern ausgesetzt zu sein als Erwachsene, zum anderen gebe es auch Vermutungen, dass die kleineren Körper von Kindern dadurch stärker beeinflusse werden als die voluminöseren der Erwachsenen.

Grundsätzlich hat die Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern im Mobilfunkbereich in den vergangenen Jahren stark zugenommen. 30 Prozent der Bundesbürger haben einer Umfrage zufolge Angst vor möglichen negativen Folgen durch elektromagnetische Felder. 19 Prozent der Befragten äußerten spezifische Angst vor Mobilfunk-Basisstationen. Die hochfrequenten elektromagnetischen Feldern, die während der Nutzung eines Handys ausgehen, sind jedoch deutlich höher.

In der in den nächsten Tagen anlaufenden Untersuchung der Uni München sollen 3 000 Kinder und Jugendliche aus München, Augsburg, einer kleineren Stadt und aus dem ländlichen Raum in einem 45-Minuten-Interview zu gesundheitlichen Störungen befragt werden. Daran schließt sich eine 24-stündige Testphase an, in dem die, Handynutzung jeder einzelnen Person durch ein kleines mobiles Messgerät registriert wird. Die Kinder sollen sich dabei wie immer verhalten. Als Dankeschön gibt es einen Einkaufsgutschein in Höhe von 20 Euro und das persönliche Testergebnis.

Möglich wurde die epidemiologische Querschnittsstudie erst durch die Entwicklung eines neuen, nur 60 Gramm schweren Messgeräts, das die Testpersonen ohne weiteres über einen längeren Zeitraum mit sich führen können. Ralf Müller

 

Straubinger, 10.Febr2006

Die Dienstleistungsrichtlinie und das Herkunftslandprinzip sind nun in aller Munde. Was steckt dahinter? Was ist der Auslöser, der voraussichtlich am nächsten Donnerstag in Straßburg verabschiedeten Richtlinie? Kurz gesagt, sollen Hindernisse bei der Ansiedlung und Ausübung von kurzfristigen, grenzüberschreitenden Dienstleistungen in Europa beseitigt und Verwaltungsvereinfachungen erzielt werden. Wenn eine Firma langfristig Dienstleistungen in Bayern anbieten will, dann muss sie hier eine Niederlassung eröffnen und sich nach den deutschen Bestimmungen richten.

Bekanntlich ist das Ziel der Mitgliedstaaten der EU der Binnenmarkt mit seinen vier Grundfreiheiten: freier Verkehr von Waren, Personen, Kapital und eben auch von Dienstleistungen. Diese sind im EG-Vertrag verankert. Somit handelt es sich um in Deutschland bereits geltendes Recht. Mit anderen Worten, die Richtlinie gibt die bestehende Rechtslage wider. Über 140 Urteile des Europäischen Gerichtshofs zur Dienstleistungsfreiheit belegen, dass einzelne Mitgliedstaaten versuchen, unliebsam Konkurrenz vom eigenen Markt fernzuhalten. Diese Situation stellte den Ausgangspunkt für den von Kommissar Bolkestein vorgelegten Richtlinienentwurf dar.

Das Europäische Parlament hat diesem Entwurf nun die "Zähne gezogen", es liegt ein guter Kompromiss auf dem Tisch. Im Mittelpunkt der Diskussion steht das so genannte Herkunftslandprinzip, das mittlerweile aus dem Text gestrichen wurde. Nunmehr soll ein ausgewogenes Zusammenspiel aus dem Recht auf Dienstleistungsfreiheit einerseits, und den Bestimmungen des Landes, in dem die Dienstleistung erbracht wird, andererseits gelten. Somit kann Deutschland in jedem Fall auf der Einhaltung wichtiger nationaler Vorschriften bestehen. In der Realität bedeutet dies, dass Unternehmen aus anderen Mitgliedsstaaten die Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften, etwa die Sicherheit des Arbeitsplatzes oder der Schutzkleidung des Mitgliedstaates einhalten müssen, in dem die Arbeit ausgeführt wird.

Dies gilt nicht nur für die gesetzlichen, sondern auch für die tarifvertraglich vereinbarten Vorschriften. Es kann also nicht zu Dumpinglöhnen kommen. Zusätzlich könnte die Bundesregierung auf Grundlage der Entsenderichtlinie auch Mindestlöhne für die einzelnen Arbeitsbereiche festlegen, ähnlich der Regelung am Bau. Weiterhin können Unternehmen die Richtlinie auch nicht dadurch missbrauchen, dass sie in Mitgliedstaaten mit niedrigen Löhnen und Sozialbeiträgen Briefkastenfirmen gründen und von dort aus Dienstleistungen in anderen Mitgliedsstaaten erbringen. Denn mittels der Richtlinie kann kontrolliert werden, wo sich der tatsächliche Geschäftssitz von Unternehmen befindet.

Es sollten aber nicht nur Risiken, sondern auch Chancen bedacht werden. Gerade Deutschland verfügt über einen leistungsfähigen Dienstleistungssektor. Im Jahr 2004 bestanden etwa 70 Prozent der Erwerbsleistung im Dienstleistungsbereich. Dies gilt besonders auch für Bayern. Viele bayerische Unternehmen haben durch die Nähe zu Tschechien und anderen neuen Mitgliedstaaten Interesse, ihre Dienstleistungen möglichst mit wenig bürokratischen Hindernissen "zu exportieren".

Nur ein Beispiel: In Frankreich müssen ostbayerische Servicetechniker acht Tage vor der Einreise angemeldet werden. Da stellt sich die Frage, wie soll dorthin ein Aufzug verkauft werden, bei dem eine 24-Stunden-Servicegarantie Standard ist. Hier wird deutlich, dass das so genannte Bestimmungslandprinzip de facto einer Marktabschottung gleichzustellen ist, die überdies nicht mit dem EU-Vertrag konform ist. Im Vergleich hierzu hat Deutschland keine Restriktionen für Unternehmen die hierzulande ihre Leistungen anbieten wollen.

Dem entsprechend kann auch das Vorurteil ausgeräumt werden, dass mit der Verabschiedung der Richtlinie nun sämtliche Arten von Dienstleistern aus den neuen Mitgliedstaaten hereinschwemmen würden. Diese können ohnehin jetzt schon in Deutschland agieren.

Deutschland ist in der Warenproduktion Exportweltmeister, bei den Dienstleistungen sind wir jedoch Importeur. Das belegt doch, dass wir hier große Chancen haben - sie liegen sozusagen vor der Tür!

Zusammenfassend müssen folgende vier Punkte festgehalten werden: Gerade deutsche klein- und mittelständische Unternehmen werden von der Verabschiedung der vorliegenden Dienstleistungsrichtlinie profitieren, weil sie ohne die bestehenden Hemmnisse im europäischen Ausland tätig werden können. Ein Scheitern des Textes würde die Situation für deutsche Dienstleister im europäischen Ausland verschlechtern, da sie weiterhin auf Abschottungsmechanismen und somit auf einen ungleichen Wettbewerb im Ausland stoßen werden.

Für deutsches Recht wird sich mit der Verabschiedung des Textes nichts ändern, da deutsches Recht schon jetzt mit der Richtlinie konform ist. Ausländische Dienstleister werden auf dem deutschen Markt zu deutschen Bedingungen agieren müssen, so dass hiesige Standards nicht gefährdet sein werden.

DIE WELT, 10.Febr2006
Deutsche warten auf ein Wirtschaftswunder
Das britische Magazin "Economist" ist nicht mehr so begeistert von Deutschland und warnt vor "amerikanischen Verhältnissen"
VON ANJA STRUVE
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Frankfurt/Main - So schnell kann es gehen: Vor gerade einmal einem halben Jahr pries das renommierte britische Wirtschaftsmagazin "Economist" in seiner Titelgeschichte den Reformeifer Deutschlands und erntete dafür viel Aufmerksamkeit. Die größte Volkswirtschaft der EuroZone, als "kranker Mann Europas" gescholten, sei besser als ihr Ruf: dank sanierter Unternehmen, konsequenter Sozialreformen und niedriger Löhne.

So positiv fiel die Bilanz für die Reform-Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung aus, daß der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder es sich nicht nehmen ließ, das Magazin zu Wahlkampfauftritten mitzunehmen und wie ein Siegesfähnchen zu schwenken.

Doch in der aktuellen Ausgabe, die sich in einem Sonderreport diesmal noch ausführlicher dem Thema Deutschland widmet, ist von dem Optimismus des vergangenen Spätsommers nicht mehr viel zu spüren. Statt dessen, so beschreibt es Autor Ludwig Siegele auf 14 Seiten, warte die Bundesrepublik im Jahr der Fußball-WM auf ein Wunder. Die Chancen allerdings, daß sich das "Wunder von Bern" wiederholen lasse, als Deutschland 1954 den Fußball-Weltmeistertitel errang und sich zum Wirtschaftswunderland aufschwang, seien eher gering: "Selbst der erste WM-Titel Deutschlands seit 1990 würde nichts daran ändern, daß viele weitere Veränderungen nötig sind", heißt es da. "Deutschland mag in einer besseren Verfassung als Frankreich oder Italien sein, und viele andere Länder wären froh, solche Probleme zu haben. Das bedeutet aber nicht, daß das Land bei guter Gesundheit ist."

Die Mängelliste ist lang: Angefangen beim Bildungssystem, das den sozialen Aufstieg verhindere, über den Klüngel zwischen Kommunalpolitik und regionaler Wirtschaft bis hin zum Arbeitsmarkt, der noch immer zu viele Menschen ausschließe.

Das Hauptproblem des Landes sei daher nicht in erster Linie die Globalisierung oder die angebliche "Heuschreckenplage", sondern das "Modell Deutschland" selbst, lautet eine der Thesen des Reports: "Spezifisch deutsche Institutionen, die eigentlich soziale Gerechtigkeit gewährleisten sollen, sowie die Versuche, dieses System zu erhalten, treiben zunehmend einen Keil in die deutsche Gesellschaft."

Zwar verweist der "Economist" ähnlich wie schon im vergangenen Sommer auch auf die positiven Aspekte der deutschen Wirtschaft und lobt etwa die Exportstärke, die wachsende Binnennachfrage und die steigende Investitionsbereitschaft. Doch anders als vor sechs Monaten werden die Pluspunkte diesmal nur am Rande erwähnt. Statt dessen, so warnt der Autor, könnte Deutschland ein Abdriften in "amerikanische Verhältnisse" drohen, falls strukturell nicht schnell etwas geschehe - allerdings ohne die Vorteile, die das System in Amerika eben auch mit sich bringe. Insgesamt fällt die Bilanz so pessimistisch aus, daß sich die Frage aufdrängt, wie sich das Bild binnen so kurzer Zeit überhaupt so deutlich verschlechtern konnte. Die Antwort darauf findet sich ebenfalls in dem Report, wenn von den Chancen für ein "Wunder von Berlin" die Rede ist: "Die Antwort", heißt es da, "hängt von der Perspektive ab."

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