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Landshuter,Straubinger, 6.März2004. LEITARTIKEL

AUFTRIEB FÜR ISLAMISTEN VON FRIDOLIN M. RÜB

Während sich in Düsseldorf der Prozess gegen vier mutmaßliche Mitglieder der Islamisten-Organisation Al Tawhid wegen der Vorbereitung von Terroranschlägen in der Bundesrepublik noch im Anfangsstadium befindet, hat der Bundesgerichtshof am Donnerstag das Urteil gegen den Marokkaner Mounir EI Motassadeq aufgehoben. Der weltweit erste Prozess zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 muss damit neu aufgerollt werden. Der 29-jährige Student war vor einem Jahr wegen Beihilfe zum 3 066-fachen Mord zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Die Verteidigung hat bereits angekündigt, die Freilassung Motassadeqs zu beantragen. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) nannte die Karlsruher Entscheidung bedauerlich.

Für die Bundesanwaltschaft ist dies der zweite schwere Rückschlag binnen weniger Wochen, denn Anfang Februar wurden die Terrorfahnder bereits vom Freispruch im ähnlich gelagerten Mzoudi-Prozess kalt erwischt.

Für ein unschuldiges Justizopfer hält Karlsruhe den Marokkaner aber nicht: Motassadeq sei weiterhin "hochgradig verdächtig", erklärte Richter Tolksdorf. Grundsätzlich habe die Öffentlichkeit Recht, wenn sie auf Ahndung des schrecklichen Verbrechens dränge: "Auch die Justiz muss sich am Kampf gegen die Hydra des Terrorismus beteiligen", sagte er. Doch der Schuldspruch des Hamburger OLG vom Februar 2003 sei fehlerhaft gewesen, erklärte Tolksdorf. Zum Fallstrick wurde die Geheimniskrämerei der US-Regierung, die den in den USA inhaftierten Ramzi Binalshibh - Chefplaner der Anschläge - wegen "nationaler Sicherheitsinteressen" nicht als Zeugen freigab. So sei die Beweiswürdigung lückenhaft geblieben. Bei alledem sei zu beachten, dass das harte Vorgehen gegen mutmaßliche Terroristen für Strafgerichte nicht in einem "wilden und ungezügelten Krieg enden" dürfe, betonte Tolksdorf.

Binalshibh hatte bei Verhören in USA ausgesagt, nur er und die späteren Todespiloten seien in die Anschlagspläne eingeweiht gewesen. Ein Testat darüber war auch in den Prozess gegen Abdelghani Mzoudi eingeführt worden und hatte zum Freispruch geführt.

Der Mzoudi-Freispruch und das BGH-Urteil zeigen, dass sich die Strafverfolger etwas einfallen lassen müssen, sonst sind sämtliche Verdächtige bald auf freiem Fuß. Und das hätte verheerende Folgen. Denn gewaltbereite Fanatiker sehen in den beiden Fällen mehr als bloße Urteile: Für sie sind es Zeichen dafür, dass Allah islamische Kämpfer ob ihres gottgefälligen Handelns sichtbar für alle belohnt. Solche Urteile sind eine Einladung für Zögernde, den Weg des Dschihad zu beschreiten.

Das Heer potenzieller Gotteskrieger ist groß. Seit Monaten beobachten die deutschen Sicherheitsbehörden mit Sorge, dass sich hier lebende Muslime auffällig für den Guerilla-Krieg gegen die US-Truppen in Irak interessieren. "Auch aus Deutschland sind bereits Kämpfer aufgebrochen", sagt der Chef des Bundesnachrichtendienstes, August Hanning. Um 50 Fälle soll es sich handeln, heißt es. Als besonders aktiv beim Rekrutieren von Mudschahedin gilt das Netzwerk der extrem militanten Ansar-el-Islam. Ansar soll wiederum eng mit Abur Mussab el-Sarkawi zusammenarbeiten, einem Vertrauten von EI-Kaida-Chef Osama bin Laden. Sarkawi gilt als Planer der Irak-Operationen des Terrornetzes. Von der Bundesanwaltschaft, wird er mit Haftbefehl als Rädelsführer der vier Mitglieder der Terrorgruppe Al Tawhid gesucht, die in Düsseldorf vor Gericht stehen.

 

 

 

Islamistische Gruppen sind bei uns bis Mitte der 90er Jahre eine Randerscheinung geblieben; regen Zulauf haben sie erst seit Beginn dieses Jahrzehnts. Zum besseren Verständnis dieser Entwicklung ist ein Blick zurück hilfreich: Die Einwanderung großer Bevölkerungsgruppen aus islamischen Ländern ist eines der bedeutsamsten demographischen und kulturellen Phänomene der letzten Jahrzehnte. Und wie für uns Deutsche ist das revolutionäre Jahr 1989 mit dem Fall der Mauer auch für die hier lebenden Muslime ein Wendepunkt. Es markiert den Eintritt der ersten Generation von hier aufgewachsenen Muslimen ins Erwachsenenalter. Aber diese Generation sieht sich mit einem Arbeitsmarkt konfrontiert, auf dem schwach Qualifizierte kaum Chancen haben. Damit findet auch die Integration via Arbeitsplatz nicht statt. Temporäre Jobs bieten weder Stabilität noch Identifikationsmöglichkeiten. Weil eine attraktive Lebensperspektive fehlt, wird die muslimische Jugend zum Zielpublikum jener Bewegungen, die auf eine Re-Islamisierung hinarbeiten und diese über einen Bruch mit der westlichen Gesellschaft zu verwirklichen suchen. Deshalb ziehen die islamistischen Aktivisten mit starken Symbolen ins Feld, um die Konfrontation zu verschärfen. Unter diesem Aspekt zu sehen sind auch die RushdieAffäre und der Kopftuch-Streit.

International gesehen markierte Khomeinis Fatwa, mit der Rushdie 1989 zum Tod verurteilt wurde, einen folgenschweren Bruch zwischen dem Westen und der islamischen Welt. Es war das erste Mal, dass ein juristischer Entscheid, der auf den heiligen Schriften des Islam beruhte, außerhalb des Dar al-islam, das heißt außerhalb eines dem islamischen Recht unterstellten Staates, Anwendung fand. Indem er den britischen Staatsbürger Rushdie zum Tod verurteilte, gab Khomeini zu verstehen, dass die Umma, die Gemeinschaft der Muslime, so wie er sie versteht, fortan keine äußeren Grenzen mehr kennt.

Bis dahin hatten die Islamisten Europa nicht als Gebiet des Islam (Dar al-islam) betrachtet. Es gehörte, im Gesamtbereich der Gottlosen (Dar al-kufr), zu einem Gebiet vertraglichen Friedens (Dar al-ahd), wo die Muslime es nicht zum offenen Konflikt mit der gottlosen Umgebung kommen ließen; im Gegensatz zu den Gebieten des Kriegs (Dar al-harb), wo der Dschihad erlaubt ist. Konkret bedeutete dies, dass Europa ein heiliges Gebiet war, ein Zufluchtsort für alle daheim verfolgten Gruppen. Seit 1989 haben die Islamisten aber eine entscheidende Wende vollzogen. Sie betrachten Europa nun als Bestandteil des Dar al-islam. Die Muslime sind hier zu Hause und müssen nach den Regeln der Scharia leben können. Geprägt vom Vorbild der militanten Mitglieder der "Nation of Islam" in den USA, sollen in den Vorstädten der europäischen Metropolen reislamisierte Räume geschaffen werden, in denen eine vom Islam bestimmte Ordnung gilt. Nur so, verkünden die Promotoren, könne der soziale Friede gewahrt werden. Mit dieser Logik wird ein Prozess der Abspaltung betrieben und eine soziale Struktur angestrebt, in der sich geschlossene Gemeinschaften gegenüberstehen. Einer Balkanisierung der Gesellschaft wird der Weg geebnet.

Für uns kann das nur heißen: Integration hat Vorrang vor Zuwanderung. Wenn der Einfluss der Islamisten nicht eingedämmt werden kann, wird auch Deutschland zum Kriegsschauplatz. "Sie planten Mord und Totschlag", sagte Bundesanwalt Dirk Fernholz zum Auftakt des Prozesses gegen die vier Al Tawhid-Aktivisten. Dem ist nichts hinzuzufügen.