Energie: Klimaänderung und Erdölabhängigkeiten führen zur Kernkraft-Renaissance
Rund um den Globus sind Atomreaktoren im Bau
VDI nachrichten, Düsseldorf, 10. 3. 06, mg -

Die Bemühungen vieler Länder, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu senken, lässt den weltweiten Bedarf nach Kernkraftwerken sprunghaft ansteigen. Derzeit sind bereits 30 neue Anlagen im Bau, weitere 39 sind finanziell abgesichert und genehmigt und 160 befinden sich im Planungsstadium.

Während Deutschland, Schweden und die Schweiz weiterhin über die Zukunft der Kernkraft in ihren Ländern nachdenken, erlebt der Reaktorbau weltweit einen neuen Aufschwung. Die USA, Finnland, Frankreich, England, Kanada, China, Indien, Pakistan, Japan und Südafrika wollen sich mit Hilfe der Kernenergie vor allem von ihrer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wie Kohle oder Erdöl befreien.

Laut einem Bericht der in Paris ansässigen Internationalen Atomenergie Agentur (IAEA) beträgt der weltweite Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung gegenwärtig 16 %. Diese Energie wird von 441 Reaktoren geliefert, von denen inzwischen aber 80 % über 15 Jahre alt sind. Viele dieser Anlagen müssen in Kürze abgeschaltet werden, um sie komplett zu überholen. Doch das ist in den meisten Fällen nicht wirtschaftlich, so dass neue Reaktoren in der Planung sind, die sowohl sicherer als auch leistungsstärker sein werden.

In den großen Industrieländern betreibt die Kernkraftindustrie schon seit Jahren eine intensive Lobbyarbeit, um den Bau neuer Reaktoren voranzubringen. Als Hauptargument verweist sie auf die zunehmend akzeptierte Klimaveränderung durch fossile Brennstoffe sowie die instabile und devisenverschlingende Erdölabhängigkeit. "Die osteuropäischen Erdgasversorgungsprobleme in diesem Winter waren ein politisches Geschenk für die westeuropäische Kraftwerksindustrie", sagt EU-Kommissar Andris Piebalgs.

Derzeit sind in Westeuropa zwei 1600-MW-Reaktoren im Bau; einer in Finnland, ein weiterer in Frankreich. Die Kernkraftwerke sollen 2008 beziehungsweise 2012 ans Netz gehen. In den Niederlanden wurde die Betriebsgenehmigung der bislang einzigen Anlage bis 2033 verlängert und Umweltminister Pieter van Geel erklärte jüngst, dass "ein zweiter Reaktor eine realistische Option sei". England plant derzeit sogar sechs bis acht neue Kernkraftwerke. Details dazu will die Regierung noch vor der Sommerpause bekannt geben.

Tschechien und Bulgarien planen jeweils zwei weitere Kraftwerke und die Türkei hat ihre vor fünf Jahren eingestellten Pläne für zwei bis drei Reaktoren wieder aufgenommen.

Russland hat gegenwärtig vier Anlagen im Bau, darunter einen 800-MW-Neutronen-Reaktor. Und russische Ingenieure bauen auch die zwei umstrittenen Reaktoranlagen im Iran. Putin ist ebenfalls im Gespräch mit Vietnam über den Bau eines ersten Reaktors, einer 2000-MW-Anlage, die 2020 ans Netz gehen soll.

In den USA laufen derzeit die Genehmigungsverfahren für 13 neue Kernkraftwerke, darunter ein Joint venture von Constellation Energy mit Areva, um zwei Druckwasser-Reaktoren in Maryland und New York zu errichten. Nach Ansicht der US-Atomindustrie werden zwar nicht alle Verfahren zu einem Reaktorbau führen, doch "schon in zwei Jahren wird es eine Reihe neuer Reaktorbaustellen geben", glaubt Marlyn Kray, Präsidentin des US-Kernkraft Verbandes NuStart Energy.

Kanadas größter Energiekonzern, Bruce Power, will rund 3 Mrd. E investieren, um zwei neue Kraftwerke am Huronsee zu bauen. Diese sollen zwei Anlagen ersetzen, die wegen Sicherheitsmängel seit fast zehn Jahren stillgelegt sind. Ontarios Energiebehörde will sogar stolze 40 Mrd. kanadische Dollar in zwölf Reaktoren investieren, um dann alle Kollekraftwerke abschalten zu können.

Die meisten Kernkraftprojekte gibt es in Asien. Japan baut fünf neue Anlagen, die bis 2010 fertig gestellt sein sollen. China plant sogar 30 Atomreaktoren, die alle auf eigenen Konstruktionsplänen basieren. Damit will sich China vor allem als Exporteur seiner Technologie positionieren. Zwei Anlagen wurden bereits nach Pakistan verkauft.

Der größte Teil der heute im Bau befindlichen Atomkraftwerke gehört zur dritten Generation der Druckwasser-Reaktoren. Darüber hinaus sind in Frankreich, China und Südafrika bereits Gas-Kugelhaufen-Reaktoren der vierten Generation im Bau. Diese Systeme sind billiger, sicherer und bieten einen besseren Wirkungsgrad als die bisherigen Anlagen. Wichtigster Aspekt ist jedoch für viele Länder, dass diese Kraftwerke eine Nutzungszeit von bis zu 60 Jahren versprechen. HARALD WEISS

www.iaea.org
www.world-nuclear.org

Russische
Ingenieure bauen
Anlagen im Iran

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