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20.Februar 2004

Der harte Kampf gegen überflüssige Pfunde

Politiker wollen europaweit gegen die Fettleibigkeit vorgehen - Geringe Therapieerfolge

München. (AP) Selbst das Laufen war für Melanie S. aus München eine Qual. Die 20-Jährige war 1,57 Meter groß und wog 103 Kilo. "Ich hatte richtige Essanfälle, habe alles in mich reingestopft, Schokolade und manchmal vier Pizzas auf einmal", sagt Melanie. Millionen geht es ähnlich: Jeder fünfte Deutsche leide unter massiven Gewichtsproblernen, "und der Trend nimmt explosionsartig zu", sagt Professor Joachim Westenhöfer von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft. Politiker und Mediziner aus Deutschland, Frankreich und Österreich gründeten jetzt eine Initiative gegen die neue Volkskrankheit.

Melanie sagt, seit ihrem zehnten Lebensjahr habe sie zu Hause immer mehr Fertiggerichte und Fast Food bekommen. Sie nahm zu, bis sie es nicht mehr aushielt. Als sie 16 Jahre alt war, wollte sie gewaltsam abnehmen, schluckte Appetitzügler, Abführmittel, erbrach sich. Doch die Pfunde blieben. Erst nach mehreren Aufenthalten in psychosomatischen Kliniken und einer Wohngruppe für Essgestörte gelang ihr das Abnehmen.

Der Ernährungspsychologe Westenhöfer sieht mit Sorge, dass die Übergewichtigen immer jünger und immer schwerer würden. "Vor 20 Jahren gab es Gewichtsprobleme vielleicht ab 15 Jahren. Heute beginnen sie schon mit sieben oder acht Jahren." Jedes vierte Schulkind sei inzwischen übergewichtig.

"Es kommen zwei Faktoren zusammen: Das Essverhalten an sich und der Lebensstil", erklärt Westenhöfer. Der Bewegungsmangel und das Im-Fernsehsessel-Sitzen habe rasant zugenommen. Zugleich sei der Verzehr von Süßigkeiten gestiegen. "Die müssten eigentlich eher Fettigkeiten heißen, Schokolade zum Beispiel besteht fast nur aus Fett." Auch die Packungsgrößen seien im Lauf der Zeit immer größer geworden: "In meiner Kindheit gab es 20-Gramm-Packungen für Gummibärchen, heute sind es meist 250 Gramm. Im Kino isst man Popcorn aus Behältern, die so groß sind wie ein Putzeimer für einen Vier-Personen-Haushalt", kritisiert er.

Die Folgen des Übergewichts: Mehr Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes, Gelenkprobleme und mehr Darm- und Brustkrebs. Aber nicht nur die Gesundheit, auch der Geldbeutel wird belastet. Nach einer Studie des Bundesgesundheitsministeriums kostete die Behandlung des Dickseins in Deutschland schon 1995 elf Milliarden Euro.

Die Behandlung ist immer noch eine Herausforderung für die Medizin. Die Ergebnisse der Therapie seien insgesamt enttäuschend, räumt Westenhöfer ein. "Nur zehn bis 20 Prozent der Patienten halten ihr Gewicht langfristig." Bei Kindern sei der Erfolg ein wenig größer. Die gängige Therapie ist eine Mischung aus mehr Bewegung und gesunder Ernährung mit Vollkornprodukten und Gemüse.

Auch Melanie hat es nach Jahren geschafft. In der Wohngemeinschaft für Essgestörte "ANAD Pathways" in München lernte sie, bewusst zu essen. Ein halbes Jahr verbrachte sie dort. "Jetzt vermeide ich McDonalds und ernähre mich viel gesünder", sagt die 20-Jährige. Jeden zweiten Tag geht Melanie schwimmen oder laufen. Jetzt wiegt sie noch 80 Kilogramm.