Süddeutsche Zeitung, 13.Oktober 2004

Die stille Seuche

500 000 Deutsche sind mit Hepatitis C infiziert - nun werden die Aussichten

auf einen Impfstoff besser

Von Nicola Siegmund-Schultze

Süditalienische Alltags-Idylle. In den kunstledernen Sesseln der Barbiere liegen die Männer. Sie haben den Kopf weit zurückgelegt, und mit jeder Schneise, die das blitzende Messer des Friseurs durch den dicken Rasierschaum schlägt, kommen die Kunden dem Ziel eines makellos glatten Kinns ein Stück näher. Aber auch der Infektion mit Hepatitis C. 38 Prozent der sizilianischen Friseure, die sich und ihre Kundschaft mit demselben Instrument rasieren, haben Antikörper gegen das Virus im Blut, ein Zeichen dafür, dass sie sich irgendwann einmal angesteckt und das Virus möglicherweise auch weitergegeben haben.

38 Prozent. Das ist Weltrekord. Schätzungen zufolge tragen weltweit rund 170 Millionen Menschen das Hepatitis-C-Virus in sich, für Deutschland schwanken die Angaben zwischen 500 000 und 800 000 chronisch Infizierten. Drei von vier Infizierten nehmen die Krankheit nicht wahr, sie verläuft oft jahrelang ohne Symptome. In dieser Zeit aber können diese Menschen das Virus an andere weitergeben.

"Hepatitis C ist eine stille Epidemie", sagt Ralf Bartenschlager. Der Direktor der Abteilung Molekulare Virologie an der Universitätsklinik Heidelberg hatte vor kurzem Kollegen aus aller Welt zu einem Kongress über Hepatitis C eingeladen. Das Problem: Nur bei jedem fünften Infizierten heilt die Infektion von selbst wieder aus, bei allen anderen geht das akute Krankheitsstadium irgendwann in ein chronisches über. Die Dauergäste im Körper sind eine tickende Zeitbombe: Nach durchschnittlich acht Jahren haben vier von zehn Betroffenen eine Zirrhose, aus der sich in jedem fünften Fall Leberkrebs entwickelt. Dann rettet nur noch eine Transplantation vor dem Tod.

Bisher gibt es keinen Impfstoff gegen die Krankheit. Denn das Hepatitis-C-Virus ist für Forscher eine harte Nuss. Um den Erreger zu studieren, müssten Wissenschaftler ihn eigentlich in der Kulturschale vermehren. Doch das erwies sich bisher als ungemein schwer.

Bartenschlager und sein Team haben zwar vor fünf Jahren eine Miniversion des Virus durch genetische Veränderung so weit aufgepäppelt, dass es in menschlichen Zellen in der Kulturschale überlebte. Aber neue infizierte Zellen kapern, wie es die Grundlage der Viren-Ausbreitung ist, das konnte diese Minimalvariante nicht. Jetzt ist Bartenschlager ein großes Stück weitergekommen. Zusammen mit Takaji Wakita von der Universität Tokio konnte er die Viren dazu bringen, auch im Labor ihre Angriffslust zu zeigen und neue Zellen zu befallen. Damit lässt sich die Infektion erstmals realitätsnah simulieren. "Wir hoffen, dass uns das System bei der Suche nach neuen Medikamenten gegen Hepatitis C hilft", sagt Bartenschlager. "Es war bisher nicht möglich, Arzneien im Hochdurchsatzverfahren auf ihre virushemmende Aktivität zu testen. Dafür ist jetzt die Grundlage gelegt."

Neue Medikamente sind dringend nötig, denn bislang gibt es für die Hepatitis C keine befriedigende Therapie. Die akute Form der Erkrankung lässt sich zwar mit Interferon meist heilen. Aber jeder zweite Betroffene kann das Medikament wegen der schweren Nebenwirkungen gar nicht einnehmen.

Um die chronische Hepatitis C zu behandeln, muss Interferon noch dazu mit dem Virushemmer Ribavirin kombiniert werden. Und auch diese Therapie macht den Patienten meist schwer zu schaffen: Gelenkschmerzen und Fieber, aber auch Depressionen bis zur Suizidgefahr sind unerwünschte Effekte. Und selbst wenn, Patienten die Medikamente ein halbes bis ganzes Jahr lang konsequent einnehmen, heilen sie höchstens jeden zweiten.

Die stille Epidemie beunruhigt auch die Bundesregierung. Sie misst ihr "erhebliche gesundheitspolitische Bedeutung" zu. Schließlich kann jeder Infizierte, in dem sich das Virus vermehrt, einen anderen Menschen anstecken. Die Infektion verläuft meist über das Blut. Schon kleine Verletzungen reichen aus, wenn sie mit winzigen Blutspuren eines Virusträgers in Kontakt kommen." Ob sich jemand ansteckt oder nicht, hängt auch von seinem Immunsystem ab", sagt Heiner Wedemeyer von der Medizinischen Hochschule Hannover. Bei immunschwachen Personen könne das Virus sogar über Speichel übertragen werden.

Als häufigste Ansteckungsquelle für Hepatitis C gilt der Austausch von Spritzenbesteck unter Drogennutzern. Sex stellt offenbar nur dann eine Ansteckungsgefahr dar, wenn dabei kleine Wunden entstehen, zum Beispiel beim Analverkehr. Ohne riskante Sexualtechniken ist das Ansteckungsrisiko bei monogamen Heterosexuellen üblicherweise gering, wie Forscher von der Universität Modena vor kurzem berichteten. Sie hatten 895 Paare mehr als zehn Jahre lang untersucht, von denen ein Partner mit Hepatitis-C-Viren infiziert war (1).

Gefährlich kann es auch werden, wenn Körperkunst unter die Haut geht. "Betreiber von Piercing- oder Tätowierstudios unterschätzen oft das Risiko", sagt Martina Lehnhoff, die in Bergisch Gladbach Piercer ausbildet. "Die Kunden sollten unbedingt darauf achten, dass Einmalhandschuhe verwendet werden und dass die Instrumente fachgerecht sterilisiert worden sind. " Aber welcher Kunde kann schon beurteilen, ob eine Sterilisation fachgerecht war? Unter den 3 0 bis 4 0 Prozent der Hepatitis-C-Infizierten, bei denen sich die Ursache nicht klären ließ, dürften auch viele Tätowierte oder Gepiercte sein, sagte Darius Moradpour von der Universität Lausanne auf dem Heidelberger Kongress.

Fachleute befürchten, dass sich die Zahl der chronisch Infizierten in den 2 0 Jahren verdoppeln könnte. wollen die Forscher den Wettlauf mit der Zeit aufnehmen. Etwa 70 neue Substanzen gegen Hepatitis C stecken in der Pipeline der Pharmafirmen, sechs sind bereits in der klinischen Prüfung. Das Wirkprinzip der meisten Kandidaten ist, dass sie viruseigene Enzyme hemmen und die des Menschen unbeschadet lassen. So unterbrechen einige Substanzen die Verdoppelung der viralen Erbsubstanz und hemmen dadurch den Vermehrungsdrang der Zellparasiten, andere bremsen die Eiweißsynthese des Virus.

Fieberhaft wird außerdem an einem Impfstoff geforscht. "Man muss versuchen, das Virus von mehreren Seiten in die Zange zu nehmen", erklärt Bartenschlager die Strategie. Auch für dieses Vorhaben dürfte das neue Kultursystem ein Segen sein. Denn im Labor können die Wissenschaftler den Viren neue Hüllproteine verpassen. Auch in der Natur hüllen sich die Erreger nämlich immer wieder in neue Mäntelchen. Anhand der veränderten Viren können die Forscher dann herausfinden, ob die Antikörper, die das Immunsystem bildet, überhaupt dazu führen, dass die Erreger abgetötet werden.

Vor kurzem haben erste klinische Studien mit einem Impfstoff begonnen, der Varianten solcher Hüllproteine des Hepatitis-C-Virus enthält. Die Voruntersuchungen mit Schimpansen verliefen erfolgreich, jetzt wird der Impfstoff an nicht-infizierten, gesunden Probanden erprobt, wie Michael Houghton vom Impfstoffhersteller Chiron in Emeryville (Kalifornien) berichtete.

Allerdings ist unklar, ob das Hepatitis-C-Virus ähnlich wie der Aids-Erreger HIV dem Impfschutz nicht allzu leicht entwischen wird. Denn es verändert seine Hülle noch schneller als der Aids-Erreger, wie Bartenschlager sagt. Die Impfstoffforscher arbeiten deshalb lieber mehrgleisig. Sie suchen nicht nur nach einem vorbeugenden Impfstoff , sondern auch nach einem, der bereits infizierten Personen hilft. Wenn bei solchen Menschen das Immunsystem angeregt wird, kann das den Ausbruch der Krankheit zwar nicht unbedingt verhindern, aber ihren Verlauf abschwächen und die Wirkung der verfügbaren Medikamente verbessern. Hepatitis C hat die Wissenschaftler Bescheidenheit gelehrt.

(1) American Journal of Gastroenterology, Bd. 99, S. 855, 2004

Weitere Informationen beim Kompetenznetz Hepatitis unter www.kompetenznetz-hepatitis.de oder Mo, Di und Do zwischen 14 und 16 Uhr unter 01 805-45 00 60.

 

 

Das Hepatitis-Alphabet

Sechs verschiedene Viren können Leberentzündungen hervorrufen

Noch vor einigen Jahren sprach man lapidar von einer "Non-A-Non-B-Hepatitis", wenn eine entzündete Leber nicht so recht ins Bild passen wollte und Hepatitis-Viren der Typen A und B nicht die Ursache waren. Inzwischen aber kennen Ärzte sechs verschiedene Typen von Hepatitis-Viren. Das Alphabet reicht von A bis G, F wurde fälschlicherweise vergeben und musste zurückgezogen werden. All diese Viren lösen eine Leberentzündung aus und können Leberversagen hervorrufen. Miteinander verwandt sind sie jedoch nicht.

Hepatitis A macht Kindern meist wenig zu schaffen, Erwachsenen aber oft schwer; gelegentlich kommt es zum akuten Leberversagen. Der Hepatitis-A-Erreger wird in Deutschland immer seltener. Meist wird das Virus eingeschleppt. Es wird direkt durch Kontakt zwischen Menschen übertragen (Schmierinfektion) oder indirekt über kontaminierte Lebensmittel oder Trinkwasser. Die Ansteckung durch Blut ist möglich, aber selten. Eine spezifische Therapie gibt es nicht. Wenn die Infektion nicht tödlich verläuft, heilt sie aus und wird nicht chronisch.

Hepatitis B kann milde oder schwer verlaufen. Bei jedem zehnten Erwachsenen wird sie chronisch. Ohne Therapie kann die chronische Krankheit zur Zirrhose und zum Leberkrebs führen. Verbreitet ist Hepatitis B unter Drogenabhängigen, unter Menschen mit häufig wechselnden Sexualpartnem sowie unter Menschen, die in Heilberufen arbeiten. Insgesamt stecken sich die meisten Menschen beim Geschlechtsverkehr mit Hepatitis B an. Über kleine Verletzungen gelangt das Virus in den Körper. Außer in Sperma, Vaginalsekret und Speichel kommt es auch im Blut von Infizierten vor. Eine Impfung ist möglich.

Hepatitis-C-Viren rufen bei jedem vierten Infizierten eine akute Hepatitis hervor. Ausgesprochen tückisch kann der chronische Verlauf sein (s. Text).

Hepatitis-D-Viren brauchen Helfer, um sich zu vermehren, denn sie sind defekt. Ihre Kompagnons sind meist Hepatitis-B-Erreger. Die D-Viren verschlimmern dann die Hepatitis-B-Infektion. Die Übertragungswege der beiden Viren sind identisch.

Hepatitis E ist im Allgemeinen keine schwere Krankheit und heilt von allein wieder aus. Schwangere Frauen jedoch können an der Infektion sogar sterben. Der Erreger ist in Deutschland selten und wird meist durch Fernreisende eingeschleppt. Die Ansteckungswege ähneln denen der Hepatitis A.

Das Hepatitis-G-Virus macht sich normalerweise nicht bemerkbar. Noch wird diskutiert, ob es überhaupt ein Krankheitserreger ist. Darum besteht im Gegensatz zu allen anderen Hepatitis-Infektionen keine Meldepflicht. nsi

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