Straubinger,Landshuter, 13.Nov 2003

Gesundheitswesen verliert 20 Milliarden durch Betrug

Studie weist auf Chipkarten-Missbrauch, falsche Abrechnungen und dubioses Pharmamarketing hin

Berlin. (AP) Im deutschen Gesundheitswesen versickern nach Schätzung von Korruptionswächtern bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr durch Betrug und Missbrauch. Diese Zahl nannte Transparency International am Freitag in Berlin. Der Schaden entstehe unter anderem durch Chipkarten-Missbrauch, Betrug bei der Abrechnung von Ärzten und Zahnärzten oder dubioses Pharmamarketing. Die Beiträge könnten niedriger sein oder die Versorgung besser, wenn das Problem intensiver bekämpft würde.

Transparency-Vizechefin Anke Martiny sagte, auf die geschätzte Schadenssumme in Deutschland sei man auf Grundlage internationaler Erfahrungen und Hochrechnungen gekommen. Das bedeutet für Deutschland bis zu 20 Milliarden Euro. Besonders großes Missbrauchspotenzial sehen die Korruptionswächter bei der Arzneimittelversorgung. Ein Beispiel sei die Arztsoftware zur Auswahl von Medikamenten, die von großen Pharmafirmen gesponsert und den Ärzten kostenfrei zur Verfügung gestellt werde, sagte Stefan Etgeton von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Die Software bevorzuge die Produkte der Sponsoren. Preis oder individuelle Indikation des Patienten träten in den Hintergrund.

Als Verschwendung von Ressourcen prangerte Arzneimittelexperte Peter Schönhöfer auch das aggressive und teure Marketing der Pharmaindustrie für neue teure Arzneien an, die gegenüber vorhandenen keinen Vorteil bringen. Mit Milliardenaufwand würden sinnlos Produkte in den Markt gedrückt, die einzig die Ausgaben der Kassen hochtrieben.

Martiny forderte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und ihre Länderkollegen auf, sich dem Problem zu stellen und es gemeinsam zu bekämpfen. "Wir müssen eine neue Kultur schaffen, die Korruption im Medizinbereich ächtet." Nötig seien unter anderem bessere Maßnahmengegen Chipkartenmissbrauch,Regressmöglichkeiten gegen Arzneimittelhersteller bei falschen Versprechungen, eine Professionalisierung der Selbstverwaltung und wirksamere Strafverfolgung.

Unterdessen wird der Streit um Beitragssenkungen der gesetzlichen Krankenkassen immer bitterer. Die Chefin der AOK Niedersachsen, Christine Lüer, forderte Gesundheitsministerin Schmidt zum Rücktritt auf, weil diese "keine Ahnung" vom Gesundheitssystem habe. Schmidts Ministerium bezeichnete die Forderung als einen "extrem merkwürdigen Vorgang" und wies sie zurück. Das Verhältnis zwischen Schmidt und den Kassen sei weiter konstruktiv.

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