Straubinger, 8.Dez 2004

CDU hat mit Stoiber Frieden geschlossen
Bayerns Ministerpräsident gibt beim CDU-Parteitag den heimlichen Oppositionschef
Von unserem Korrespondenten Rudi Wais

Es dauert eine Weile, bis die CDU ihren Frieden mit Edmund Stoiber macht. Der Applaus ist freundlich, aber dünn, als der Bayer gestern die große Messehalle in Düsseldorf betritt, viele Delegierte sitzen noch beim Kaffee im Foyer, andere blättern lustlos in ihren Zeitungen. Auch Stoiber selbst lächelt etwas unsicher in die Runde. Bahnt sich hier am Ende ein neues Leipzig an? Im vergangenen Jahr straften die Christdemokraten den CSU-Chef mit demonstrativem Desinteresse - es war der Auftakt zu einem zermürbenden Streit um den richtigen Kurs in der Steuer- und der Gesundheitspolitik, in dem Stoibers Widerspruchsgeist spät erlahmte.

Eine Stunde später ist Leipzig vergessen. Der CDU-Parteitag verabschiedet den Gast aus München zwar nicht gerade frenetisch, aber mit wohlwollender Solidarität. Und Stoiber hat das Seine dazu getan. Wie Gastgeberin Angela Merkel tags zuvor betont auch er das Einende und nicht das Trennende. Hält sich nicht mit sperrigen Reformdetails auf, sondern beschränkt sich auf die großen Überschriften, deren dickste mit nur einem Wort auskommt: Patriotismus. Untertitel: Wie die Union, sich auf ihre alten Werte besinnt und daraus zugleich eine neue Integrationspolitik ableitet. Vieles, sagt Stoiber, könnten die Deutschen hier von den Amerikanern lernen. Zum Beispiel dieses: "Wer sein Land nicht liebt, kann Ausländer nicht davon überzeugen, dass Integration lohnt."

Patriotismus, Gemeinsinn, das christliche Fundament: Nach dem quälenden Gezerre um die Gesundheitsprämie hat die Union plötzlich wieder ein verbindendes, sinnstiftendes Projekt. Klare Werte zu verkörpern, sagt Stoiber, "das ist unser Thema. Dasist das Thema von CDU und CSU". Bundeskanzler Gerhard Schröderdagegen, an dem der Rivale von 2002 sich noch immer abarbeitet, "steht für Individualismus - vor allem für den eigenen".

Der geplante EU-Beitritt der Türkei, das Ideal von der multikulturellen Gesellschaft: Schärfer noch als Angela Merkel geht Stoiber mit der Koalition ins Gericht. Dass Reinhard Bütikofer und Claudia Roth, die beiden Grünen-Vorsitzenden, Toleranz für Lebensweisen einfordern, selbst wenn man sie insgeheim für falsch halte, empört ihn zutiefst. "Das sollen die mal den zwangsverheirateten Mädchen erklären", wettert Stoiber, "die vor den archaischen Ehrbegriffen und Traditionen ihrer Eltern in deutsche Frauenhäuser fliehen". Für die Union jedenfalls gelte: "Unsere Toleranz für andere Wertvorstellungen endet, wo unsere Werte missachtet werden." Wer dies nicht akzeptieren könne, habe sich mit Deutschland das fälsche Land ausgesucht.

Wirkte Angela Merkels Rede am Montag noch wie eine verfrühte Regierungserklärung, so gibt Stoiber in Düsseldorf den heimlichen Oppositionschef. Rot-Grün, rechnet er vor, treibe immer mehr Menschen in Armut und Verschuldung, rede die Probleme schön und stehle sich aus der Verantwortung. Schröder zum Beispiel fliehe vor seiner trüben innenpolitischen Bilanz immer häufiger ins Ausland, so wie im Moment wieder nach China. Mit insgesamt 110 Reisen in seiner Amtszeit übertreffe der Kanzler inzwischen sogar schon den Papst - "obwohl der schon mehr als 25 Jahre regiert". Mit solchen Sätzen lässt es sich problemlos punkten auf einem Parteitag, bei dem Geschlossenheit erste Unionspflicht ist – auch wenn die Dinge in Wirklichkeit komplizierter und die zelebrierte Einigkeit möglicherweise nicht von Dauer ist.

Stoibers Problem: Die CDU ist dabei sich zu verändern, und zwar rasanter und radikaler als es der Schwesterpartei eigentlich lieb ist. In der runderneuerten Christdemokratie fällt einer wie Norbert Blüm heute in die Rubrik Auslaufmodell: zu sozialdemokratisch, zu staatsgläubig, irgendwie gestrig. In der CSU dagegen ist einer wie Horst Seehofer noch immer eine Macht. "Dem Menschen etwas zutrauen, weil der Mensch zur Freiheit geboren ist": Mit Sätzen wie diesem ist Angela Merkel im Geiste näher bei Guido Westerwelle als bei den Kollegen aus Bayern. Landesgruppenchef Michael Glos, heißt es, habe deshalb bereits bei ihr interveniert: Sie solle, riet ihr; der Franke, auf mehr Distanz zur FDP achten und Stoiber stärker einbinden. Ein hoher Christdemokrat sieht das ähnlich: "Die Wahlen 2006 gewinnen Merkel und Stoiber, nicht Merkel und Westerwelle." Auch deshalb hat die CDU ihren Frieden mit Stoiber gemacht.

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