Mittelbayerische Zeitung, 1.Juli 2003

"Das ist absolut kein Freibrief für Alkoholmissbrauch"
Regensburger Forscher entdecken zusammen mit Kollegen einen genetischen Link zwischen Alkohol und Krebs

REGENSBURG. Unter der Mitarbeit von Forschern der Universität Regensburg wurde erstmals eine direkte, genetische Verbindung zwischen übermäßigem Alkoholkonsum und der Entstehung von Krebs entdeckt. Der Regensburger Wissenschaftler und Internist Privatdozent Dr. med. Claus Hellerbrand ist Fachmann für Lebererkrankungen. Mit ihm unterhielt sich Angelika Sauerer.

Wie genau funktioniert der Link, den Sie entdeckt haben, zwischen Genveränderung, Alkoholmissbrauch und Krebserkrankung?

Hellerbrand:Eine Mutation auf dem Alkoholdehydrogenase Gen (ADH1C*l) bewirkt, dass besonders viel von diesem Enzym hergestellt wird, das im menschlichen Körper Alkohol abbaut. Das entstehende Stoffwechselprodukt heißt Azetaldehyd, es ist giftig für die Körperzellen und kann dadurch Krebs auslösen. In einer Studie mit über 800 alkoholkranken Patienten fanden wir zusammen mit Forschern der Universitäten Heidelberg, Erlangen, Freiburg und Lübeck heraus, dass die von Krebserkrankungen Betroffenen signifikant häufiger Träger der beschriebenen Genveränderung sind.

Alkohol selbst löst also keinen Krebs aus?

Hellerbrand:Kein Körper kann Alkohol auf gesunde Weise abbauen. Zwar ist nicht der Alkohol selbst verantwortlich für die Krebsentstehung. Aber die bei der Verarbeitung des Alkohols entstehenden Abbauprodukte lösen die Krankheit aus. Bei Patienten mit der von uns gefundenen Mutation werden mehr von den giftigen Stoffen hergestellt als bei anderen.

Heißt das, dass alle anderen Alkohol konsumieren können ohne ein Krebsrisiko?

Hellerbrand:Nein, in keinster Weise. Unsere Ergebnisse sind absolut kein Freibrief für Alkoholmissbrauch. Es gab sowohl in der Kontrollgruppe Patienten mit der Genveränderung und ohne Krebs als auch unter den Krebskranken Fälle, bei denen die Mutation nicht vorlag. Das kommt daher, dass es sich bei Krebs nicht um eine Krankheit handelt, die von einer oder ganz wenigen Genveränderungen gefördert wird. Für Krebs sind eine große Zahl von Mutationen verantwortlich. Die von uns entdeckte ist im Zusammenspiel mit Alkohol nur eine davon. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl in die Hunderte geht. Hinzu kommen auslösende Faktoren aus Umwelt und Lebensführung.

Weiche Krebsarten kann Alkohol auslösen?

Hellerbrand:Mit starkem Alkoholkonsum werden vor allem bösartige Tumoren der Leber, der Speiseröhre, des Gaumens und des Kehlkopfs in Verbindung gebracht.

Werden Sie aus Ihren Ergebnissen eine Therapie entwickeln?

Hellerbrand:Nein, nicht in Hinblick auf Alkoholmissbrauch. Es ist doch viel naheliegender, auf Alkohol zu verzichten oder den Konsum zumindest stark einzuschränken. Unsere Ergebnisse sind eher von wissenschaftlichem Interesse, da sie den Einfluss einer genetischen Mutation und deren Folgen für zelluläre Abläufe erklären. Hieraus könnten dann aber in der Zukunft Therapieansätze auch für andere, nicht mit Alkohol verbundene Erkrankungen entstehen.

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